Disruptive Innovation – Eine praktische Anwendung

Nachdem es einige Tage urlaubsbedingt etwas ruhiger war, möchte ich heute mit einem „urlaubsnahen“ Thema beginnen – dem Fotografieren. Dort hat sich nämlich in den letzten Jahren der Wandel von der analogen zur digitalen Technik vollzogen. Dieser Wandel gibt ein gutes Beispiel für die Wirkungsweise der „disruptiven Innovation“ ab.

Der Begriff der disruptiven Innovation geht auf Clayton Christensen zurück, und beschreibt eine Art von Innovation, die auch den Marktführern zum Verhängnis werden kann, die ansonsten ihre Hausaufgaben gemacht haben.

Während des Urlaubes habe ich zwei Artikel gefunden, die den Zusammenhang plastisch darstellen.

Disruptive Innovation – Recap

Wie Sie in den Links unter „weiterführende Informationen“ am Ende des Artikels lesen können, hat Christensen den Begriff in seinem Buch „The Innovator’s Dilemma“ eingeführt. Er behauptet, daß eine disruptive Innovation deshalb so gefährlich für Marktführer sein kann, weil Firma eine solche Innovation oft aus denselben Gründen ignorieren, die sie damals groß gemacht haben.

Die Wirkungsweise ist wie folgt: Zunächst ist die neue Technologie sehr viel teurer, und schlechter, als die bestehende Technologie. Sie wird von den eigenen Schlüsselkunden abgelehnt, weshalb der Marktführer in dieser Technik zunächst nicht weiter aktiv wird. Später dann finden Weiterentwicklungen statt, die diese „schlechtere“ Technologie verbessern. Oft hat hier der alte Marktführer den technologischen Anschluss verloren, und kann diesen Entwicklungen nicht so einfach folgen.

Ab irgend einem Punkt wird die neue Technologie günstiger, und erweist sich als ausreichend leistungsfähig. Zu diesem Zeitpunkt schwenken die alten Kunden um, und der ehemalige Marktführer verliert seine Position.

Der Markt für Fototechnik im Umbruch

photostakenDie links gezeigte Grafik habe ich dem Artikel →Film Photography Peaked in 2000 with 85 Billion Photos Taken, Then Plummeted entnommen. Sie zeigt die Anzahl der Fotos, die pro Jahr aufgenommen wird (rote Linie), und sie stellt diese Information der Anzahl der Fotos gegenüber, die mit der analogen Technik aufgenommen wurden (orangene Kurve).

Siegeszug der digitalen Technik

Es ist gut zu erkennen, daß die Anzahl der Fotos, die pro Jahr aufgenommen werden, seit langer Zeit exponentiell zunimmt, und sich deshalb das Fotografieren immer mehr durchsetzt. Zwischen 2000 und ca 2005 ist jedoch die Anzahl der mit analoger Technik aufgenommenen Fotos relativ schnell zurückgegangen. Bemerkenswert an der Kurve ist die hohe Änderungsgeschwindigkeit (es haben wenige Jahre gereicht, die analoge Technik in der Bedeutung weit zurückzuwerfen). Weiterhin ist bemerkenswert, daß es sich nicht nur um einen Rückgang handelt, sondern um einen regelrechten Absturz, der anscheinend unvorhersehbar plötzlich auf die analoge Technik zugekommen ist.

Man kann sich gut vorstellen, daß manch ein Hersteller im analogen Segment aus einer Position der Schwäche relativ schnell umsteigen mußte, um hierbei nicht unterzugehen. Vielen großen Namen ist dies nicht gelungen (Beispiel: Kodak, Poloroid), anderen Herstellern ist dieser Umstieg gerade eben noch gelungen (Beispiel: Leica, Canon, und Nikon). In vielen Fällen waren sehr mutige Entscheidungen notwendig.

Entwicklungsstadien

Die obige Grafik impliziert, daß die Welt bis 2000 noch im Lot war, und danach ein plötzlicher Trendbruch entstanden ist. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, können Sie sehen, wenn Sie sich die Kameratechnik genauer ansehen, und die einzelnen Entwicklungsstadien.

Adorama, ein Händler für Fotoequipment, hat in seinem Firmenblog einen Artikel veröffentlicht, der auf die wichtigsten Kameraentwicklungen seit der Entstehung der Fotografie eingeht (→The 14 Most Influential Cameras of All Time). Interessant sind dort die Kameras, die sich mit der digitalen Technik befassen: Dabei handelt es sich um die Modelle Sony Mavica (1981), Kodak DCS 100 (1991), Kodak DC 210 (1998), und Nikon D100 (2002).

Die Beschreibungen von Adorama (unten die wichtigsten Passagen) zeigen, warum die Kameras wichtig waren, und was sie geleistet haben:

„8. Sony Mavica 1981. The original Mavica was not really a digital camera. It was essentially a television camera that recorded TV-quality still images on two-inch magnetic floppy discs called Mavipaks. Its single-speed 1/60 sec shutter allowed it to freeze frames within the limits set by the twin-field interlace making up the complete frame. The Mavica of 1981 was an SLR with interchangeable lenses but the resolution of its 10x12mm CCD was only 570×490 pixels, lower than VGA. Nevertheless it implied a whole new world of imaging possibilities that were to be developed, by Sony and many others, with unflagging dedication and at an amazing pace….

9. Kodak DCS 100 1991. The first digital SLR offered for sale to the public, the DCS 100 shows just how far digital imaging has progressed in 20 years. Basically a Nikon F3 incorporating a 1.4-megapixel Kodak CCD image sensor measuring 20.5×16.4mm, the DCS 100 required a heavy, bulky tethered monitor/control unit, and had a 200 MB SCSI hard drive on board. Its small CCD meant that a 28mm lens provided an angle of view equivalent to an 80mm lens on 35mm. The whole rig was carried around in a fairly large fitted suitcase, and it cost over $30.000….

10. Kodak DC 210 1998. The first “Megapixel resolution” digital camera selling for under $1000 ($899) it had a CCD sensor with an ISO rating of 140, point-and-shoot form factor, a 2X, 29-58mm equivalent wide-angle zoom lens, a 1.8-inch LCD panel that “could be turned on when in capture mode to preview pictures,” a small optical finder, and a built-in flash….

11. Nikon D100 2002. The first digital SLR to score a resounding sales success among professional and serious enthusiast photographers, the D100 combined pro-level performance and features in an ergonomic body with built-in flash at a sufficiently moderate price (about $1,600) to attract many enthusiasts. The broad appeal of the D100 spurred other makers, notably Canon and Pentax, as well as a Nikon itself, to expand and redefine the emerging  digital SLR mass market….“

Fazit

Grob zusammenfassend kann man sagen, daß die ersten Kameras zwischen 1981 und 1991 (d.h. 10 bis 20 Jahre vor der rapiden Änderung der Fotogewohnheiten) sehr teuer waren, und nur für spezielle Bedarfe geeignet. Vermutlich haben die damaligen Marktführer hierin keine größere Probleme gesehen, und sich nicht weiter darum gekümmert. Auch die große Zahl von Kunden hatten diese Kameras sicherlich nicht in der engeren Wahl.

Man kann auch sehen, daß Kodak zwischen 1991 und 1998 einen Entwicklungssprung gemacht hat, der die digitale Technik das erste mal für einen größeren Markt interessant gemacht hat. Allerdings war dieser Sprung erst einmal nur interessant für Kunden ohne große Ansprüche, die einen gewissen Grad von Enthusiasmus mitbrachten. Hierbei handelte es sich vielleicht um Privatleute, die das nötige Kleingeld hatten, sich eine Schnappschusskamera zuzulegen, die in der analogen Technik sicherlich leistungsfähiger war (zu dem Zeitpunkt haben etablierte Analoghersteller sicher noch wesentlich leistungsfähigere Geräte hergestellt). Auch dies hätte man als Marktführer im Analogbereich noch übersehen können.

Erst mit der D100 stand im Jahre 2002 eine bezahlbare Kamera zur Verfügung, die zudem für anspruchsvollere Anforderungen geeignet war. Genau zu diesem Zeitpunkt begann der Schwenk hin zur Digitaltechnik, und setzte sich in den Folgejahren in einer hohen Geschwindigkeit durch.

Was man hieraus lernen kann?

  • Disruptive Änderungen gehen schnell, man kann sie jedoch erkennen, wenn man auch den weiteren Markt im Blick behält.
  • Die typischen Mechanismen einer kundenorientieren Firma (wer will das nicht?), die da lauten „Schlüsselkunden zufriedenstellen“, und die „Erhebung von Kundenwünschen vor Entwicklungsbeginn“ sind bei dieser Art von Innovation gefährlich.

Weiterführende Informationen

… im Internet

Im Internet finden Sie weiterführende Artikel:

… auf www.Produkt-Manager.net

In meinen älteren Artikeln finden Sie weiterführende Informationen zum heutigen Thema:

Kontakt

Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

No Responses to “Disruptive Innovation – Eine praktische Anwendung”

  1. Realy nice argumentation, even if I would mention that I am not so familiar at all with this theme. Now I know a bit more 🙂 Frank

  2. Especially about this topic you can find more Information in Older articles that I have written. Also the books by Christensen are recommended. Therevyou find more examples, i.e. about the development of the harddisk