Wer genau hat es verbockt? HP und die Rolle des Entwicklungs-Know-How

Der Spiegel hat neulich in seinem Artikel → Wer hat’s verbockt? HP! mehr über die Hintergründe geschrieben, die hinter Hewlett Packard’s jüngster Entscheidung stehen, das Segment der mobilen Geräte einzustellen.

Der Vorgang, und der Artikel sind ein gutes Beispiel für die Frage, wie man erfolgreiche Produkte gestaltet.

Blick zurück

Vor einigen Monaten hatte sich HP aufgemacht, mit einem eigenen iPad-artigen Gerät gegen Apple anzutreten. Das Gerät war nicht sonderlich erfolgreich, um nicht zu sagen: Es war ein Desaster.

HP hat daraufhin urplötzlich umgesteuert, und die Geräte vom Markt genommen. Die Produktion wurde eingestellt, und man hat den Restbestand der Geräte verramscht. Auch wollte man die ganze Sparte loswerden und hat in dem Zusammenhang auch seinen CEO entlassen.

Wie der Spiegel sagt, war dieses Desaster nicht billig für HP:

„Das Tablet-Abenteuer ist Hewlett-Packard (HP) teuer zu stehen gekommen. Insgesamt 3,3 Milliarden Dollar musste das Unternehmen im vergangenen Jahr abschreiben“

Der Artikel erklärt kurz, was im Vorfeld abgelaufen war:

  • HP hatte eine Software von Palm übernommen.
  • Um Apple schnell etwas entgegensetzen zu können, erhöhte man die Entwicklungsbudgets drastisch, und stellte viel Personal ein.
  • Um starten zu können, mußte die WebOS Software signifikant umgeschrieben werden (was einem beim Kauf von Palm nicht aufgefallen war).
  • Man nahm sich (nur) neun Monate Zeit, und hat am Ende ein Gerät veröffentlicht, daß der ersten iPad Generation sehr ähnlich war, jedoch längst nicht so leistungsfähig.
  • Im Nachhinein wurde klar, daß die Software sogar Design- und Qualitätsprobleme hatte.

Der Strategische Aspekt

Im Artikel stehen einige Hinweise darauf, wie man eben keine Software entwickelt. Die aus meiner Sicht wichtigsten Fehler sind:

  • Man dachte, das zeitliche Dilemma, in dem man gesteckt hat, über die Anzahl der Entwicklerköpfe zu lösen, die man diesem Projekt zuwies.
  • Man hat sich kaum Gedanken darüber gemacht, wie das Produkt begeistern soll, sondern man hat das Thema genau falsch herum angefasst, indem man den Liefertermin vor Durchlaufen der Requirementsphase festgesetzt hat.

HP ist demnach in eine Falle gelaufen, die letztendlich zeigt, wie wichtig es ist, wenn das Management einer IT Firma entwicklungserfahren ist.

Aus meiner Erfahrung halte ich bereits die Grundannahmen für irreal, die zu diesem Desaster geführt haben, und nicht nur das Agieren der Beteiligten.

Fehlannahme: Mangelnde Entwicklerkapazität ist ein Mengenproblem

Ein solches System, wie einen iPad inclusive Betriebssystem in neun Monaten entwickeln zu wollen, nur durch Kapazitätserhöhung, ist aus meiner Sicht irreal (um nicht zu sagen, es ist eine grundfalsche Annahme).

  • Einmal sollte man den Know How Bedarf der Softwareentwicklung nicht unterschätzen, und der Aufbau von Know How braucht Zeit, und Freiraum. Um vernünftige Arbeit abzuliefern, brauchen neue Entwickler selbst mit viel Unterstützung durch erfahrene Kollegen diese 9 Monate vermutlich erst einmal, um das Design zu entwerfen, die Prozesse/Arbeitsweisen aufeinander abzustimmen, und um Prototypen zu erstellen. In dieser Zeit ein getestetes Produkt der Güte eines iPad zu entwickeln, halte ich für „ambitioniert“.
  • Ab einer gewissen Projektgröße fangen die Entwickler eher an sich gegenseitig zu stören. Es bringt also nichts, die Projekte endlos zu vergrößern – das mag in einer Fertigung gehen. In einem IT Projekt kommt nicht umhin, daß man den Lieferumfang überdenkt, oder, daß man den Projekten mehr Vorbereitungszeit gibt, wenn es ansonsten zu ambitioniert wird.

Wesentlich sinnvoller ist es, wenn man die Entwicklermannschaft permanent schult, und wenn man sich als Manager im übrigen darauf beschränkt, die Mitarbeiter eng an das Unternehmen zu binden (geringe Fluktuation). Wer nun einwendet „Time to Market“, und „Personalkosten“ würden die Bilanz negativ beeinflussen, und man kann es sich daher nicht leisten, möge sich nochmal die Gesamtabschreibung ansehen, die HP machen mußte. Dafür kann man viel schulen…..

Fehlannahme: Es geht ohne Produktmanagement

Im Spiegel steht recht deutlich, daß das gleichteure HP iPad wesentlich weniger konnte, als das Original, und, daß deshalb niemand die Geräte kaufen wollte.

Das zeigt, daß das Produkt zu sehr aus einer inside-out Perspektive entwickelt wurde. Vermutlich hat man sich ungefähr angesehen, was Apple anbietet, und hat sich letztendlich so die Anforderungen abgeleitet. Statt sich intensiv mit den Nutzern und deren Vorstellungen zu befassen, hat man zudem auf ein Nachahmerprodukt gesetzt.

Das kann nicht funktionieren. Um ein Produkt, wie den iPad anzugreifen, nachdem man diese Gerätekategorie bereits „verschlafen“ hatte, kann man im Prinzip nur zwei Wege gehen

  • Niedriger Preis (wie Amazon, und andere Hersteller dies inzwischen machen)
  • Relevante Schwachstellen so ausnutzen, daß der Angreifer nicht als Bedrohung wahrgenommen wird.

So ist zum Beispiel eine Schwachstelle des iPad für viele Nutzer sicher die fehlende Nutzbarkeit als Zeichengerät, bzw die Nutzbarkeit als Notizblock mit Stiftbedienung. Jobs hat explizit gesagt, daß „niemand Stifte will“, d.h man kann daher davon ausgehen, daß die reine Fingerbedienung „Feature, not a Bug“ ist, und damit gewollt.

Inzwischen bildet sich ein Zubehörmarkt. Trotzdem ist aufgrund der Bauart des iPad die Stiftbedienung nur eingeschränkt möglich (z.B. kann man kaum filigran zeichnen). Ein disruptives Gerät könnte erst einmal ganz bescheiden anfangen, indem es sich als Notizblock positioniert, um dann in einem zweiteren Schritt in andere Anwendungen hineinzuwandern. Dabei könnte man ausnutzen, daß Apple die Stiftbedienung ja explizit nicht will.

Erst wenn dieses Gerät angenommen würde, könnte man beginnen mehr anzustreben.

Weiterführende Informationen

… im Internet

Im Internet finden Sie weiterführende Artikel:

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In meinen älteren Artikeln finden Sie weiterführende Informationen zum heutigen Thema:

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Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

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